Wie offline ist online?

Irgendwie ist heute jeder ständig online – mehr oder minder zumindest. Aber irgendwie klaut uns das Virtuelle bisweilen [oft?] auch Zeit und Gelegenheiten fürs Reale, oder?! Ist das nur eine akzeptable Verschiebung der Prioritäten, wo die virtuelle Welt einfach zunehmend unsere neue Realität wird, weil wir uns online statt offline verwirklichen? Oder sind wir gar nicht so „online“, wie wir denken und versuchen lediglich unsere Offline-Wirklichkeit in der Online-Welt zu realisieren – was wohl nicht selten einen gewissen Realitätsverlust zur Folge hätte?!

Grundgedanken skizziert am 13. April 2008 – als Nachtrag zu Ende gedacht am 17. August 2014


Um das vorwegzunehmen: Ich finde Onlineaktivitäten wie soziale Netze, Foren, Blogs & Co. nicht böse, minderwertig oder generell Zeitverschwendung (sonst gäbe es diese Seite wohl nicht). Genauso wie früher beispielsweise Brieffreundschaften einfach zusätzliche Gelegenheiten schufen, sich mit anderen Menschen auszutauschen als „vor Ort“, schaffen auch „neue“ Kommunikationsströme neue Gelegenheiten. Im Internet und seinen verschiedenartigsten Angeboten kann man sich prinzipiell genauso verlieren wie in Büchern, Kinofilmen oder dem eigenen Garten. Wie immer gilt „die Mischung machts“ und was-auch-immer exzessiv zu betreiben, ist selten gut.

Wo aber das „unbedingt immer auf dem Laufenden bleiben müssen“ die Oberhand über neue Chancen gewinnt, kann es womöglich schnell zum Selbstzweck werden – und das sollte man wohl zumindest kritisch hinterfragen. Wenn ich etwa Stunden auf Facebook verbringe, um all die großen und kleinen Neuigkeiten meines Bekanntenkreises nebst Aktualitäten diverser „Seiten“ zu verfolgen, ist das noch wirkliches Interesse? Oder steht hier schon die „Angst“, etwas zu verpassen, im Vordergrund? Wird das eine Art Suchtverhalten: immer mehr, immer schneller, …?!

„Das Netz“ kann uns helfen, Dinge „in Echtzeit“ zu teilen und zu erleben – das kann toll sein. Aber ist es gut, wenn wir Dinge „nur“ noch im Netz (er-)leben? Wenn alles, was nicht virtuell geteilt wird, weniger real und wertvoll erscheint?

Vielleicht ist so etwas in anderen Bereichen leichter zu bewerten: Es erscheint vermutlich eher „verrückt“, wenn jemand dem Echtzeitideal mit „Always-on“-Fantasien und mobilen Internetzugangskrücken [2008] hinterherläuft, um ja kein Zehntelprozent Kursschwankung, bloß keine Ebay-Versteigerung und nicht die unbedeutendste Chatnachricht zu verpassen. Um die Realtime-Illusion aufrechtzuerhalten (vulgo: die Vorteile des Netzes auszuschöpfen), müssen dann auch E-Mails unbedingt binnen Minuten, maximal Stunden beantwortet werden, was offenbar zu einer allgemeinen und dauernden Überforderung und Ablenkung vom Wesentlichen beiträgt – sonst gäbe es nicht auch im profesionellen Umfeld schon Initiativen, sich zumindest zeitweise von diesem Druck zu befreien.

Die Qual-ität des Internet für unterwegs [2008 so notiert] wird sicher besser werden [2014: yep], aber ob das unsere Lebensqualität verbessert, mag mal ganz vorsichtig als offene Frage dahingestellt bleiben [und das gilt wohl auch heute noch]. Die Prüffrage lautet wohl: Sind wir „on line“ eher „auf Draht“ oder hängen wir „am Draht“ – als Marionetten des Onlinefiebers?!

Chancen liegen sicher dort, wo „online“ mehr Menschen mit mehr Dingen verbindet und damit zum Teil (!) des Lebens wird – Risiken überwiegen, wo uns „zwanghaftes“ Onlinedasein vom wirklichen Leben abhängt, egal ob sich das on- oder offline abspielt. Da Virtuelles oft leichter ist (oder erscheint) als Reales, gibt es hier etliche Versuchungen – doch auch im Virtuellen kann man längst nicht mehr „alles“ haben oder überblicken. [Und spätestens 2014 dürfte klar sein, dass man eigentlich nicht mehr zwischen „virtueller“ und „realer“ Welt unterscheiden kann, weil sich diese beiden Sphären längst in allen Bereichen durchmischt haben.]

Bleibt als vorläufiges Fazit: „Online“ sollte Mittel zum Zweck sein, nicht Selbstzweck – und wer den ganzen Tag damit verbringt, nichts zu verpassen, der verpasst letztlich alles.